Gefährdet die US-Sanktionspolitik den Status des Dollars als Welt-Leitwährung?
ULRICH LEUCHTMANN, HEAD OF FX & EM RESEARCH, COMMERZBANK AG
Anfang 2010 argumentierte ich in einem Artikel für die Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik u.a., dass (a) der Status des Dollars als Welt-Leitwährung vorwiegend auf ökonomischen Faktoren beruht und (b) „Risiken, die die Rolle des US-Dollar gefährden könnten, […] bei näherer Betrachtung weitgehend gegenstandslos“ seien. Beide Aussagen würde ich heute nicht mehr machen. Der Grund dafür ist die Sanktionspolitik der USA und ihre exterritoriale Wirkung. Es besteht das Risiko, dass diese Wirkung den Preis, den die Weltwirtschaft für das Festhalten am dollar-zentristischen Währungssystem zahlen muss, in Zukunft zu weit erhöhen könnte.
US-Sanktionen werden weltweit durchgesetzt…
Seit den späten 1950er Jahren ist es üblich, dass Banken außerhalb der USA Einlagen in US-Dollar akzeptieren und diese Einlagen zur Vergabe von dollar-denominierten Krediten verwenden (sog. „Eurodollar-Markt“). Für die Entstehung und das Wachstum dieses Marktes gibt es gute ökonomische Gründe. Doch von Anfang an gab es auch das Motiv, USSanktionen zu vermeiden. So fürchtete die Sowjetunion nach dem Einmarsch in Ungarn, dass ihre Guthaben bei US-Banken eingefroren werden könnten und hielt daher zumindest einen Teil ihrer Dollar-Einlagen ab 1959 bei in Europa ansässigen Banken. Das kann man in jedem einschlägigen Lehrbuch nachlesen. Den US-Behörden dürfte es schon immer bekannt gewesen sein.
Bis Anfang dieses Jahrtausends wurde dieser Zustand von den USA akzeptiert. Internationale Überweisungen von Dollar waren bis dahin möglich, ohne dass US-Banken und die sie beaufsichtigenden Behörden Kenntnis über die Identität der betroffenen Personen hatten. Doch das hat sich im Zuge einer geänderten Finanzmarktregulierung (als Teil des „Krieges gegen den Terror“) geändert. Spätestens seit 2009 erfahren die US-Banken (über die der Zahlungsausgleich im weltweiten Dollar-Zahlungsverkehr läuft) und die sie beaufsichtigenden Behörden die Identität der „wirtschaftlich Begünstigten“ jeder Dollar-Transaktion weltweit. Damit haben die US-Behörden die Möglichkeit, US-Sanktionen weltweit zu erzwingen – nicht nur bei heimischen Banken, sondern auch bei ausländischen Finanzinstituten.
Man muss sich klar machen: Nur der Status des Dollars als Welt-Leitwährung verschafft den USA die Möglichkeit, ihre Sanktionspolitik weltweit durchzusetzen. Stellen wir uns vor, Norwegens Regierung würde ähnliches versuchen. Es wäre zum Scheitern verurteilt. Sanktionierte Länder, Institutionen und Personen könnten ohne große Mühe Zahlungen in NOK vermeiden. Und Banken müssten sich entscheiden, entweder weiterhin NOKZahlungsverkehr zu betreiben (und sich an norwegische Sanktionen zu halten) oder nicht. Aber sie hätten die Wahl. Keine überregional agierende Bank hat diese Wahl, wenn es um den Dollar-Zahlungsverkehr geht – eben weil die US-Währung Welt-Leitwährung ist.
…aber widersprechen nicht den politischen Interessen der Europäer
Bislang war dieser neue Zustand kein Thema für die Politik außerhalb der USA. Denn die US-Sanktionspolitik entsprach weitgehend (mit Ausnahmen, z.B. Kuba) auch der Sanktionspolitiken anderer westlicher Länder. So wurden z.B. die US- und die EU-Sanktionen gegen Russland nach der Krim-Invasion eng koordiniert. In den Fällen, in denen westliche Ausländer US-Sanktionen umgehen wollten, verstießen sie entweder auch gegen heimisches Recht, handelten zumindest nicht im Interesse ihrer Regierungen oder erfuhren, weil der volkswirtschaftliche Schaden gering war, zumindest keine Unterstützung ihrer Regierungen – denen gute transatlantische Beziehungen größtenteils wichtiger sein dürften.
Doch können wir sicher sein, dass das so bleibt? Werden auch künftig US-Sanktionen nicht den politischen Interessen anderer westlicher Industrieländer entgegenstehen? Das kann so sein und ist wohl auch wahrscheinlich. Aber der Punkt ist: Wir können uns dessen nicht mehr 100% sicher sein. Denn die USA koordinieren ihre Sanktionspolitik nicht mehr mit ihren europäischen Partnern. Die letzten beiden Runden der Russland-Sanktionen waren Alleingänge der US-Regierung.
Und sie erschienen erratischer als früher. So kündigte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley noch am 15. April neue Sanktionen gegen russische Unternehmen und Personen an, und schon am nächsten Tag machte die Regierung einen Rückzieher. Und heute verkündet die US-Regierung, die Restriktionen würden in deutlich abgeschwächter Form implementiert. Eine berechenbare Sanktionspolitik sieht anders aus.
Positiv für EUR-USD…
In meinem Artikel von 2010 habe ich noch argumentiert, es stünde keine Alternative zum Dollar als Welt-Leitwährung zur Verfügung. Was damals richtig war (schließlich befanden wir uns am Beginn der Euroraum-Krise), gilt heute nicht mehr. Die Euroraum-Krise liegt lange hinter uns, die Risikoaufschläge für südeuropäische Staatsanleihen sind längst wieder unspektakulär, und die sehr guten Wachstumszahlen der letzten Jahre scheinen anzudeuten, dass die Krise keine realwirtschaftlichen Bremsspuren hinterlassen hat – was in diesem Zusammenhang wichtiger ist als die Frage, ob der Euroraum heuer mit 2,4% oder mit 2,1% wachsen wird. Damit kommt der Euro wieder als Alternative in Frage.
Und in der Tat, in den letzten Jahren nahm der Anteil des Euros im internationalen Zahlungsverkehr (gemessen an den SWIFT-Transaktionen) deutlich zu, der des Dollars deutlich ab. Mit 38% zu 41% (Stand Februar 2018, ohne Transaktionen innerhalb des Euroraumes) ist der Abstand nicht mehr allzu groß. Für EUR-USD ist diese Entwicklung grundsätzlich positiv. Die Transaktionsnachfrage nach der US-Währung ist rückläufig, die für den Euro steigt. Hinzu kommt ein anderer Effekt: Der Euroraum verzeichnet einen Handelsbilanz-Überschuss, exportiert also mehr, als er importiert. Euros, die im Rest der Welt zur Bezahlung von Transaktionen vorgehalten werden, werden somit laufend vom Euroraum „abgesaugt“ – zur Bezahlung der Exportgüter Europas. Der Euro wird im Rest der Welt verknappt und damit verteuert.
…allerdings nur langfristig
Freilich zielt alles bisher Gesagte auf die lange Frist. Sollten die USA mit ihren Sanktionen nicht allzu schlimme Eskapaden anstellen, ist die Ablösung der US-Währung als Leitwährung (und die damit verbundene USD-Schwächung) ein schleichender Prozess. Bis dahin ist lediglich eine Prämie für die USD-Wechselkurse angemessen – die das Risiko eben solcher Eskapaden vergütet. Die üblichen kurz- bis mittelfristigen Faktoren (Zinsen, Inflation etc.) können solch eine Entwicklung lange und deutlich überschatten.
Und auch die angesprochene Verknappung des Euros durch den Handelsbilanz-Überschuss kann der Kapitalmarkt lange hin-auszögern. Schließlich kann der internationale Bankenmarkt nicht nur USD-Kredite vergeben (und damit USD schöpfen), sondern auch EURKredite – und so das internationale EUR-Angebot ein ganzes Stück vergrößern.