Virtuelle Welten und digitale Assistenten erobern die Geschäftswelt

ANDREAS TH. FISCHER, FREIER JOURNALIST UND AUTOR IN BERG AM STARNBERGER SEE

 

Bei Consumern hat sie sich bereits seit einigen Jahren etabliert: Virtual Reality, die sich mit bislang meist noch recht klobigen Datenbrillen spielerisch erleben lässt. Nun erobern die virtuellen Welten und digitalen Assistenten auch die Geschäftswelt und verändern die Art, wie die Menschen arbeiten und miteinander umgehen. Die Zukunft ist da und verändert unser aller Leben.

Als eines der ersten Unternehmen hatte Google vor fünf Jahren einen groß angelegten Versuch gestartet, mit Google Glass die echte mit der virtuellen Welt zu verschmelzen. Dieser Anlauf ging allerdings gründlich schief. Kaum jemand wollte ein „Glasshole“ sein und in den Verdacht geraten, mit der Datenbrille seine Mitmenschen heimlich aufzunehmen. Mitte 2014 war die Brille erstmals im Verkauf. Nach nur ein paar Monaten stellte Google ihn auch schon wieder ein. Das hinderte den Internetriesen aber nicht daran, weiter an der Brille zu forschen.

Nun ist Google Glass in einer neuen Enterprise-Version wieder da. Die Preise sind allerdings alles andere als massentauglich und zeigen, wo der Weg hinführt: Direkt in die Unternehmen, die ihren Mitarbeitern damit neue Arbeitsmöglichkeiten eröffnen oder die es ihren Kunden erlauben wollen, in den neuen Welten zu stöbern und etwa sicher und bequem von zu Hause oder einer Filiale aus den nächsten Urlaubstrip zu buchen. So bieten Reisekonzerne wie TUI oder Neckermann bereits jetzt in vielen Niederlassungen die Möglichkeit an, das Reiseziel virtuell zu erkunden. Der Kunde kann, ausgestattet mit einer VR-Brille, zum Beispiel das Aussehen der Kabinen in einem Kreuzfahrtschiff studieren und sich bereits vor Antritt der Reise einen Lieblingsplatz in einem der Restaurants an Bord suchen.

Das Phänomen Pokémon Go

Im Sommer 2016 ereignete sich ein Glücksfall für die Augmented Reality: Das neue Handy-Spiel Pokémon Go wurde in nur kurzer Zeit von mehr als 30 Millionen Menschen gespielt. Das Spiel blendet Fantasiewesen aus der Pokémon-Welt in die reale Welt des Teilnehmers ein. Es setzt also grundlegende AR-Techniken spielerisch um und benötigt dazu nicht einmal teure Zusatz-Hardware. Mittlerweile ist der Erfolg aber wieder etwas zurückgegangen und nur noch etwa 5 Millionen befinden sich auf der Jagd nach virtuellen Wesen und Schätzen. Das ändert aber nichts daran, dass Pokémon Go vielen Menschen erstmals die Bereiche AR und VR näher brachte. Die Wirtschaftswoche bezeichnet den „Siegeszug der digitalen Kobolde“ deswegen als „Musterbeispiel, wie sich Innovationen am Markt etablieren lassen“.

Vielerlei Realitäten: Augmented, Mixed, Virtual und Assisted Reality 

Mittlerweile gibt es nicht mehr nur eine Art von virtueller Welt, die uns begegnet. Die Wissenschaftler Paul Milgram und Fumio Kishino prägten den Begriff Augmented beziehungsweise Mixed Reality bereits in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er steht für mit der Realität eng vermischte virtuelle Welten, wie sie etwa der Möbelkonzern Ikea plant. Eine App, die sich momentan aber noch in der Entwicklung befindet, soll es den Kunden unter anderem ermöglichen, das eigene Wohnzimmer mit dem Smartphone aufzunehmen und dann farblich passende Möbel einzublenden. Apple unterstützt diese Pläne mit ARKit. Die Software soll es Entwicklern erlauben, neue Smartphone-Apps zu programmieren, mit denen sich die reale mit der virtuellen Welt vermischen lässt. Sie wird Teil von iOS 11 sein, das voraussichtlich noch im Herbst dieses Jahres erscheinen wird. 

Der Begriff Virtual Reality steht dagegen für Welten, die weitgehend oder sogar komplett virtuell sind. In ihnen kann sich der Anwender etwa mit Hilfe einer Datenbrille wie der Oculus Rift nahezu frei bewegen. In diesen Bereich fallen die ersten Gehversuche von TUI und Neckermann, aber auch Autohersteller planen, ihren Kunden neue Autos mit Hilfe von Virtual Reality näher zu bringen. Sogar komplette Rechenzentren lassen sich mittlerweile zunächst virtuell planen und betreten. So können Fehler in der Planung leichter erkannt und vermieden sowie viel Geld gespart werden. 

Die Maschinen kommen

Auch das maschinelle Lernen und die so genannte Künstliche Intelligenz (KI) sorgen derzeit für Schlagzeilen. So bieten etwa neuartige Frameworks die Möglichkeit, virtuelle Assistenten zu entwickeln. Nicht mehr – teure – Mitarbeiter, sondern Chatbots übernehmen dann die Kommunikation mit Kunden und Anwendern. Die virtuellen Roboter helfen bei der Recherche in Online-Shops, beantworten Fragen der Kunden und kümmern sich um die Terminplanung in Teams oder reservieren Theaterkarten. Laut einer Studie von Tractica soll der Umsatz mit Virtual Digital Assistants (VDAs) bis 2021 auf knapp 16 Milliarden Dollar steigen. Das Marktforschungsunternehmen Crisp Research zählt maschinelles Lernen und digitale Assistenten – neben den Virtual- und Augmented-Reality-Technologien – zu den zehn wichtigsten Technologietrends in diesem Jahr.

Ein weiterer für Unternehmen wichtiger Bereich ist Assisted Reality. Hier kommen die neue Google Glass Enterprise sowie die Hololens-Brille von Microsoft ins Spiel, die Mitarbeitern ermöglichen, zum Beispiel aktuell benötigte Wartungsinformationen auf dem Display ihrer Datenbrille einzublenden. Ein Servicetechniker erhält dadurch ergänzende Informationen zu etwa einer Anlage, ohne erst auf seinem Computer oder Laptop danach suchen zu müssen. Der Industriekonzern Thyssen Krupp will auf diese Weise zum Beispiel die Wartungszeiten und -kosten seiner Aufzüge senken. Aber auch viele Autohersteller beschäftigen sich aus den gleichen Gründen mit Assisted Reality.

Versandunternehmen wie die Deutsche Post, DB Schenker, DHL und Amazon haben bereits erfolgreiche Tests durchgeführt, um die Effizienz in ihren Lagern und Logistikzentren mit Hilfe der neuen Techniken zu erhöhen. Dazu lassen sie Arbeitsanweisungen in leichte Datenbrillen einblenden, die die Mitarbeiter tragen sollen und mit denen sich Prozesse beschleunigen und Fehler reduzieren lassen. Auch große Konzerne wie SAP beteiligen sich an diesen Entwicklungen.

Die Vorteile einer Kombination der echten mit der virtuellen Welt liegen auf der Hand: Lager- oder Wartungsmitarbeiter können sich aktuell benötigte Informationen in ihre Datenbrillen einblenden lassen und Kunden können sich über interessante Produkte bereits im Vorfeld in aller Ruhe und in noch nicht gekannter Nähe zum Objekt informieren. Große und kleine Bauprojekte lassen sich besser planen, so dass kostspielige Fehler leicht vermieden werden können. Es ist deswegen nur noch eine Frage der Zeit, bis virtuelle Welten und digitale Assistenten immer mehr Bereiche unseres Lebens und der Geschäftswelt erfassen.

Die Zukunft ist da. Leben wir sie.